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Der Bundesverband behinderter Pflegekinder e. V. fordert: Der Generalverdacht muss abgestellt werden!

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Der Generalverdacht gegen Pflegeeltern muss abgestellt werden! Ebenso ist die Fachkompetenz der freien Träger nicht länger anzuzweifeln!

Bundesweit betreut der Bundesverband behinderter Pflegekinder e. V. mehr als 700 Pflegefamilien mit Kindern die eine Alkoholschädigung, einen Gendefekt, eine ausgeprägte Drogenschädigung, eine chronische Erkrankung, eine Schwerstmehrfachbehinderung, intensivmedizinischen Bedarf oder gar eine verkürzte Lebenserwartung haben. Es ist äußerst bedauerlich und tieftraurig, dass Kinder in Familien zu Tode kommen. Erschreckend erst recht, dass es sogar in Pflegefamilien vorkommt. Der jüngste Fall in Hamburg hat erneut für große Aufregung gesorgt.

Jedoch bezieht der Bundesverband ganz klar Stellung: Ein Generalverdacht gegen alle freien Träger und Pflegefamilien ist nicht akzeptabel. Im Fall „Anna“ mussten alle Pflegefamilien ab sofort das sogenannte erweiterte Führungszeugnis (Bundeszentralregisterauszug beibringen. Im Fall „Chantal“ werden zunächst alle Hamburger Familien (alle Haushaltsangehörigen ab 14 Jahren) zum Drogentest verpflichtet. Die freien Träger mussten sämtliche Akten aller geführten Pflegefamilien herausgeben. In der Zwischenzeit war es den Trägern kaum möglich, ihrer eigentlichen Arbeit nachzukommen und so müssen Kinder, die dringend ein Zuhause brauchen, bis auf Weiteres warten.

Der Bundesverband behinderter Pflegekinder e. V. fordert stets eine umfangreichere Betreuung von Pflegefamilien, insbesondere von solchen, die Kinder mit Behinderung aufgenommen haben oder möchten. Auch die Überprüfungsverfahren sind bei vielen freien Trägern langfristig und fundiert erstellt worden und werden entsprechend umgesetzt.
Die Betreuung „unserer“ Pflegefamilien erfordert von den zuständigen Sachbearbeitern der Pflegekinderdienste ein hohes Maß an Wissen über Rehabilitation, ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten und die spezielle Förderung und Unterstützung im gegenwärtigen Familiensystem. Wenige freie Träger haben sich auf eben diesen Bereich spezialisiert. An dieser Stelle findet eine engmaschige und professionelle Beratung und Begleitung statt.
In der Regel hat ein solcher Familienberater maximal 16 Kinder zu betreuen. Die Sachbearbeiter in den Jugendämtern sind durchschnittlich für 50 Kinder zuständig und können dieser notwendigen Beratungsintensität fachlich und zeitlich nicht entsprechen. Daher sind wir davon überzeugt, dass der Einsatz von freien Fachträgern ein unverzichtbares Instrument zur Sicherstellung einer familienanalogen Unterbringung darstellt.
An dieser Stelle müssen wir betonen, dass die Vermittlung von Kindern mit Behinderung und die Installation einer entsprechenden Betreuung der Familien, die sich einer solchen Aufgabe freiwillig und gern stellen, sehr selten zeitnah, interdisziplinär und konform von statten geht. Eine Vielzahl der Jugendämter lehnt diese Hilfeform und eine engmaschige Begleitung der Pflegefamilien durch freie Fachträger aus wirtschaftlichen Gründen ab.
Viele Pflegefamilien sind durch ihr Jugendamt wenig oder gar nicht betreut und mit niedrigsten finanziellen Mitteln auf das Abstellgleis gefahren worden. Die Argumentation, dass ein Pflegeheim für die Kinder viel teurer ist, hat keine Relevanz, da hierfür ein anderer Kostenträger zuständig ist. Das jede Finanzierungsart eine Ausgabe unsere Steuergelder bedeutet, ist dabei unerheblich.

Wir haben mit den Jahren bedauerlicherweise lernen müssen, dass emotionale und soziale Argumente, die ganz klar für eine Pflegefamilie und gegen das Pflegeheim sprechen, keine offenen Ohren finden. Erst wenn wir folgende Rechnung aufstellen, dann hören die Entscheidenden zu: Ein schwerbehindertes Kind, was unmittelbar nach der Geburt in eine gut betreute und entsprechend aufgestellte Profifamilie vermittelt wird und nicht in einem Pflegeheim groß werden muss, sorgt für durchschnittlich 1.036.800, 00 € Steuerersparnis bis zu seiner Volljährigkeit. Das bedeutet eine Einsparsumme von 10,4 Millionen Euro bei 10 vermittelten Kindern mit besonderem Förderbedarf. Bis heute finden wir keine eindeutige gesetzliche Regelung für die Unterbringung von Kindern mit Behinderung in Pflegefamilien. Nicht selten wird sogar der Anspruch auf Erziehung in Frage gestellt: Das Kind ist so schwer betroffen und hilfebedürftig, das muss nicht erzogen, sondern nur gepflegt werden.

An dieser Stelle möchten wir auf folgende Niederschriften und Gesetzte verweisen:

UN-Konvention über die Rechte des Kindes

Artikel 8 (Grundrecht des Kindes auf Identität)
Artikel 20 (Anspruch des Kindes auf besonderen Schutz und Beistand des Staates, wenn es von seiner Herkunftsfamilie getrennt leben muss, Berücksichtigung der ethnischen, religiösen, kulturellen und sprachlichen Herkunft des Kindes)

Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII)
§ 1 (Recht auf Erziehung)

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)
§ 1 (Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft)
Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen.

Seit mehr als elf Jahren gibt es einige wenige freie Träger, die genau diesen Grundsätzen folgen und demnach auch entsprechend engagierte, sehr kompetente und liebevolle Pflegefamilien betreuen, die Kindern mit Behinderung das Grundrecht auf Familie und Förderung ermöglichen, wenn auch wiederkehrend unter erschwerten Bedingungen. Bei fast jeder Vermittlung sind umfangreiche Verhandlungen nötig, in denen leider nicht das Kindeswohl vordergründig, sondern die Kostenbewilligung an erster Stelle steht. Nicht selten müssen Kinder aus diesem Grund Monate in einer Klinik warten, bis sie endlich in ein Zuhause dürfen.

Unser Fazit: Der erste Generalverdacht, dass Pflegefamilien inkompetent, geldgierig, brutal und drogenabhängig sind, führte dazu, dass viele engagierte und liebevolle Menschen sich bereits im Bewerberverfahren respektlos behandelt fühlten und nicht länger zur Verfügung stehen. Pflegefamilien werden als Bewährungstäter gehandelt und müssen bereits vor der Aufnahme oder nun gegenwärtig eine Schufaauskunft, einen Zentralregisterauszug, einen umfangreichen Drogentest, ein Gesundheitszeugnis beibringen, eine berufliche oder persönliche Fachkompetenz nachweisen, sämtliche Einkommensnachweise offen legen und einen persönlichen Lebensbericht erstellen. Erst dann stellt sich die Frage, ob hinter all dem ein liebevolles Zuhause steckt.

Der zweite Generalverdacht, der auf den freien Trägern lastet, ist ebenso belastend wie hinderlich. Freie Träger für den Kinderschutz als einzige Instanz verantwortlich zu machen und diese Träger als „boomenden Wirtschaftszweig“ öffentlich an den Pranger zu stellen, ist für den Bundesverband absolut nicht nachvollziehbar und inakzeptabel. Nur mit Hilfe eines fachkompetenten Trägers, der eine interdisziplinäre Beratung und Begleitung sicher stellt, kann das zuständige Jugendamt das erforderliche Hilfesystem sicherstellen. Ist es nicht gerade jetzt wichtig, Fachträgern entsprechende Zulassungen zu erteilen und nicht wie z.B. in Hamburg, diese Zulassungen abzulehnen? Kein Sozialarbeiter, weder vom Jugendamt, dem Sozialamt oder dem freien Träger ist 24 Stunden am Kind. Haben die engagierten, zur Transparenz verpflichteten und der öffentlichen Erziehung zugeordneten Pflegeeltern kein Recht auf ihr Zuhause?

Der Bundesverband behinderter Pflegekinder fordert verantwortungsbewusste Überprüfung der Pflegefamilien und respektvollen Umgang mit Persönlichkeitsrechten und angemessene Wertschätzung des Engagements der Pflegefamilien. Ebenso fordern wir, die schon längst überfällige gesetzliche Regelung für die Unterbringung, Finanzierung, Beratung und Unterstützung der Kinder mit Behinderung und deren Pflegefamilien. Freie Träger, die sich auf entsprechende Sonderpflege spezialisiert haben und interdisziplinär aufgestellt sind, sind kein Luxus oder neuer Wirtschaftsboom, sondern erforderlich.

Kevin, Anna und Chantal, die wohl bekanntesten Pflegekinderfälle der letzten Jahre, haben die Menschen mit Recht erschüttert. Uns als Bundesverband erschüttern täglich mehrere Fälle, in denen Kindern das Leben in einer Familie versagt bleibt und sie noch einen Tag, einen Monat oder gar Jahre in Heimen, Kliniken, Bereitschaftspflegefamilien leben müssen weil die Überprüfungen nicht abgeschlossen, Gelder nicht genehmigt werden oder fachkompetente Träger am Pranger stehen. Mehrfach im Jahr versterben Kinder auf Intensivstationen, weil die Kostenzusage und Überprüfung zu lange gedauert hat…
Diese Kinder und ihre werdenden Eltern konnten nicht einen Tag gemeinsam zu Hause auf dem Sofa kuscheln.

Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V., Kirchstraße 29, 26871 Papenburg
Verantwortlich für diese Mitteilung: Vorsitzende des BbP e.V.
Birte Wiebeck und Kerstin Held

Wir stehen für Rückfragen, Interviews, Stellungnahmen und andere Anliegen gern zur Verfügung!

 

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