»Zeit ist Geld«. Was aber, wenn das Beste gar nicht in Geld verrechenbar ist? Was, wenn Time nicht »Money«, sondern » Honey « wäre?
»Zeit ist Geld« - es ist diese Erfolgsformel des Moralisten Benjamin Franklin, niedergeschrieben in seinen »Ratschlägen an einen jungen Kaufmann« (1784), die für die hektische, endlose und maßlose Suche nach Zeit, mehr Tempo und immer mehr Geld- und Güterwohlstand steht. »Verschwende weder Zeit noch Geld, sondern mache das Beste aus beidem« mahnt Franklin in seinem Traktat.Was aber, wenn das Beste gar nicht in Geld verrechenbar ist? Was, wenn im Leben vor allem diejenigen Zeiten zählen, die nicht gezählt werden und auch nicht gezählt werden können? Was, wenn Time nicht »Money«, sondern » Honey « wäre?
Dann hätten die wichtigsten Dinge und Zeiten des Lebens keinen Preis, dann wäre die Zeit, was sie in Wirklichkeit ja auch ist, einem Lebens- und nicht einem Zahlungsmittel vergleichbar. Und so ist es. Die Zeiten der Liebe, der Freundschaft, der Bildung, die des Genusses und des Geschmacks, die Luft, die Sonne, das Wetter, das Vertrauen, die Zuneigung und viele weitere Zeiten mehr, sie alle sperren sich gegen ihre Verrechnung in Geldeinheiten. Folgt man immer und überall nur den »Zeit-ist-Geld« Diktaten, bleiben die Qualitäten der Zeit auf der Strecke- und das macht unglücklich. Die »Liebe auf den ersten Blick« wird dann zu einer kalkulierten Zeitsparstrategie, die Tiefkühlpizza zur Familienmahlzeit und der Klappentext auf dem Buchumschlag zum Ersatz für die zeitaufwändigere Romanlektüre. Wer in der Zeit nur mehr ein monetäres Gut sieht, wird blind für die Farben und taub für die Töne des Zeitlichen, kann die Zeiten weder schmecken noch genießen und kann sich auch nicht an ihnen erfreuen. So ist es an der Zeit, die Zeit endlich wieder aus ihrer Umklammerung durch das Geld zu befreien und ihr ihre honigsüßen Qualitäten wieder zu geben. Dann auch bräuchten wir uns nicht mehr auf der Suche nach immer mehr Zeit verausgaben und von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens fliehen. Dann würden wir die Zeiten nicht mehr sparen, nicht mehr gewinnen und nicht mehr verlieren, dann würden wir sie endlich genießen. Dann lebten wir in »besseren Zeiten«. Die würden es nicht notwendig machen, wie es heute der Fall ist, in den Urlaub flüchten zu müssen, um die Zeiten zu lieben und zu genießen.
»Bessere Zeiten« sind jene Zeiten, in denen die Schnellen nicht die Angesehenen und Erfolgreichen, die Langsamen nicht die Verlierer und Verachteten sind. Eine wirkliche Chance aber haben bessere Zeiten nur dann, wenn man den Abstand zur Uhr und ihrer qualitätslosen Zeitangabe, ihren diktatorischen
Zeitzeichen und Zeitbefehlen vergrößert. Um die Zeit kalkulierbarer, nicht befriedigender und genussreicher zu machen, sind die Zeiteinheiten und Zeitangaben der Uhr zurechtgestutzt wie der Buchs vom Gärtner. Das "Zeit-ist-Geld" Handeln braucht diese begradigte, von Inhalten geleerte, überraschungslose und berechenbare Zeit. Ökonomie und die Verwaltungshandeln profitieren davon.
Die Gleichung "Time is Money" ist dort produktiv.
Geht's aber ums Leben und dessen befriedigende Gestaltung - und darum geht's eigentlich immer - greift die Definition "Time is Money" zu kurz, und noch kürzer greift sie dort, wo es ums bessere, zeitsattere und zufrieden machender Leben geht. In der Liebe, der Bildung, der Kunst und der Kultur ist Zeit kein Zahlungs- sondern ein Lebensmittel.
Die Zeiten wären besser, wir lebten gesünder, zufriedener und genussreicher, wenn wir den Fluss der Zeit aus dem engen Betonbett des Zahlungsverkehrs befreiten, wenn wir die Zweckmäßigkeit der
lebensfeindlichen Gleichung "Time is Money" durch die lebenszugewandte, schmackhafte Gleichung "Time is Honey" ersetzen, zumindest aber ergänzen würden.
Was tun?
... damit die Zeit nicht gegen, sondern für die Menschen da ist? Die kurze Antwort: Wir müssen nicht die Zeit verändern, wir müssen unser Verhalten in der Zeit verändern. Die etwas längere Auskunft: Es geht nicht um eine optimale Nutzung der Zeit, die uns die gegen alle Inhalte gleichgültige Uhr anzeigt. Es geht um die Entwicklung von Fähigkeiten, Eigenzeiten wahrzunehmen und Zeitvielfalt zu leben. Wir könnten beispielsweise die Produktivität der Langsamkeit, des Abwartens und der Geduld (wieder) schätzen und fördern. Wollen wir nicht zum Objekt unseres selbst geschaffenen Geschwindigkeits- und Zeitverdichtungsrausches werden, sondern Gemeinschaft, Liebe und Vertrauen erfahren, leben und genießen, dann brauchen wir Lebenswelten träger Produktivität.
Wir könnten dort zum Beispiel im "Warten" etwas anderes, als "verlorene" Zeit sehen. Die Chance nämlich, etwas Neues, Unerwartetes an uns herankommen zu lassen. Denn nur wer Warten kann, kann auch
etwas erwarten. Warten "stiehlt" uns nicht die Zeit, es "schenkt" sie uns. Als eine der schönen Töchter der Zeit öffnet uns das Warten die Tore zu anregenden und erholsamen Ausflügen in die Welt der Phantasie, des Vorstellungsvermögens und der Ideenkraft. Warten heißt "Zeit haben"- und "hat man Zeit", sagt der französische Dichter Apollinaire, "hat man Freiheit auch."
Auch Pausen könnten wir wieder öfters machen. Zeitwohlstand ist immer auch Pausenwohlstand und diesen haben wir dann, wenn wir verfügbare Zeit haben über die wir nicht verfügen. Wirklich freie Zeit ist nutzlos, sinnlos ist sie nicht. Sie ist die Zeit des "Unnützen", die Zeit, in der man nicht aufs Nützliche schaut und die gerade deshalb nützlich ist.
Was könnte man noch tun? Überprüfen Sie mal bei sich selbst, ob Sie die "kleinen Triumphe des Alltags" wirklich brauchen: Die Befriedigung, beim Umschalten der Ampel auf "Grün" als erster zu starten. Das Erfolgserlebnis, kurz vor der Kasse im Kaufhaus, an der Hotelrezeption oder am Skilift einen Mitwartenden überholt zu haben, der jetzt hinter einem steht. Lassen Sie es besser, und denken Sie daran: Mit Eile und Hetze kommt man eher ans Ende als ans Ziel.
Und noch etwas: Der Mensch hat Zeit. Er muss nichts dafür tun. Täglich kommt neue nach. Sehr viel tun aber muss der Mensch, um keine Zeit zu haben! Das lässt sich vermeiden. Man muss sich dafür nur, statt der Zeit, die Arbeit stehlen lassen.
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