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Recht/Gesetz

Der minderjährige Zeuge einer Vergewaltigung

Das Phänomen des minderjährigen Zeugen, die Regelung des § 52 Abs.2 StPO aus Sicht des Verteidigers und des Nebenklägers
von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht Manfred Zipper, Schwetzingen

Das Zeugnisverweigerungsrecht des minderjährigen Zeugen ist praxisrelevant. Der nachfolgende stellt das Thema vor dem Hintergrund einer Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 26. 3. 2012 – 2 WF 42/12 dar, und zwar ausgehend vom Regelfall, der im Gesetz eindeutig geklärt ist. Es werden dann unterschiedliche Konstellationen dargestellt, die Ausnahmen und damit neue Entscheidungsmöglichkeiten bieten kön-nen. Daraufhin wird aus Sicht des Verteidigers und aus Sicht des Nebenklägers die jeweils mögliche Strategie dargelegt. Schließlich wird im Fazit und Ergebnis im Hin-blick auf eine mögliche Revision auf die Rügeobliegenheit verwiesen.

I. Einführung
Nicht selten kommt es im Strafverfahren zu dem Dilemma, dass man zwar einen Zeugen nennen kann, der entweder das Randgeschehen schildern kann, oder sogar das eigentliche Tatgeschehen als Zeuge gesehen oder gehört hat und hierüber Tatsachen berichten kann, dieser Zeuge aber noch minderjährig oder ggfls. mit einer der beteiligten Personen verwandt ist. Gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht einem minderjährigen Zeugen in (Ermittlungs)Verfahren gegen Verwandte gerader Linie ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Hat der Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung seines Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so darf er nur vernommen werden wenn er zur Aussage bereit ist und auch sein gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StPO). Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den Fragen, ob ein Beteiligter im Strafverfahren über das Zeugnisverweigerungsrecht des von ihm gesetzlich vertretenen minderjährigen Zeugen bestimmen darf, wenn sich das Strafverfahren gegen einen Anverwandten des minderjährigen Zeugen richtet und ob hierfür die Sorgeberechtigung der Beteiligten und das gesetzliche Verwandtschaftsverhältnis ausschlaggebend sein darf.

II. Entscheidung OLG Karlsruhe 2 WF 42/12
1. Sachverhalt
Die StA Mannheim führte nach einer Strafanzeige der sorgeberechtigten Mutter ein Ermittlungsverfahren gegen den nicht sorgeberechtigt Beschuldigten – der Vater des minderjährigen Zeugen - wegen gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung, Entziehung Minderjähriger und Bedrohung. Dem Beschuldigten wird insoweit unter anderem vorgeworfen, er habe drei der gemeinsamen Kinder unter gegen sie gerichteten Todesdrohungen gegen den Willen der Mutter mitgenommen und sie erst in der Nach desselben Tages wieder zurückgebracht. Weiter wird ihm vorgeworfen, er habe die Kindesmutter im Beisein der Kinder gewürgt, so dass diese Todesangst gehabt habe, nicht mehr habe atmen können und für eine nicht näher bestimmte Zeitspanne das Bewusstsein verloren habe; von der Mutter habe der Beschuldigte erst abgelassen, nachdem ihn der Zeuge angefleht habe, seine Mutter am Leben zu lassen. Darüber hinaus wird dem Beschuldigten neben weiteren Straftaten vorgeworfen, er habe dem Vater der Kindesmutter am aus Verärgerung mit einem Elektroschocker mehrere Stromschläge versetzt. Das AG Mannheim hat Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigte, in dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten den 7-jährigen Sohn des Beschuldigten und der Geschädigten als Zeugen zu den Themenbereichen „Bedrohung/Körperverletzung von März/April 2011", „Entziehung der Kinder ", „gefährliche Körperverletzung vom 02.01.2012" und „Besitzverhältnisse am Elektroschocker" richterlich vernehmen zu lassen. Die als Nebenklägerin bereits im Ermittlungsverfahren auftretende Mutter des Zeugen hat einer Vernehmung ihres Sohnes zugestimmt.

Die zuständige Ermittlungsrichterin hat den 7-jährigen Sohn richterlich vernommen, um dessen Verstandesreife und Aussagebereitschaft zu überprüfen. Nachdem die Richterin dem 7 jährigen Zeugen kindgerecht erklärt hat, dass er keine Angaben zu machen braucht und dass man seinen „Papa" möglicherweise aufgrund seiner Aussage bestrafen werde, hat der Zeuge mitgeteilt, dass er etwas erzählen wolle. Ausweislich des Vermerks der Staatsanwaltschaft bestand aufgrund des per Video übertragenen Vorgesprächs mit beiden Verfahrensbeteiligten übereinstimmend der Eindruck dass mit Blick auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes nicht mit Sicherheit von der notwendigen Verstandesreife des Zeugen ausgegangen werden könne.

Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin beim zuständigen AG – Familiengericht - beantragt für den Zeugen eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 StPO" anzuordnen und das Jugendamt als Ergänzungspfleger zu bestellen. Der Rechtspfleger des AG hat diesem Antrag entsprochen und gemäß §§ 1909, 1911 BGB eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis „Vertretung des Pflegebefohlenen im Verfahren der Staatsanwaltschaft Mannheim, insbesondere für die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts" angeordnet; das Jugendamt wurde als Pfleger bestellt. Der Ergänzungspfleger hat in der Folge angekündigt, das Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben.

Gegen den Beschluss des Rechtspflegers hat die Mutter mit Anwaltsschriftsatz Be-schwerde eingelegt. Der Beschwerde der Mutter hat das AG nicht abgeholfen. Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, es bestehe ein Interessenkonflikt der Mutter als Geschädigter einerseits und als Inhaberin der elterlichen Sorge andererseits.

2. Entscheidungsgründe
Mit Beschluss vom 26. 3. 2012 hat das Oberlandesgericht Karlsruhe auf die Be-schwerde der Nebenklägerin zu 2 WF 42/12 entschieden, dass die Bestellung des Ergänzungspflegers für den 7 Jährigen Sohn der Geschädigten und des Beschuldigten aufgehoben wird. Die Mutter sei als alleinige Inhaberin des Sorgerechts (§ 1626a Abs. 2 BGB) an der ihr nach § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB alleine zustehenden Vertretung ihres Kindes im Bereich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den leiblichen Vater des Kindes nicht gehindert. Hinsichtlich des Vorliegens oder Fehlens der erforderlichen Verstandesreife des minderjährigen Zeugen sei das OLG an die Einschätzung der vernehmenden Stelle gebunden (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1996 m.w.N.). Die Mutter sei vorliegend nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gehindert. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts könne der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen Zeugen gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nur dann nicht entscheiden, wenn er selbst - oder im Falle der gemeinsamen Vertretung durch beide Eltern der andere Elternteil - Beschuldigter des Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Die Mutter ist gemäß § 1626a Abs. 2 BGB Inhaberin der alleinigen elterlichen Sorge und damit gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB seine alleinige gesetzliche Vertreterin.
Da sie nicht Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens sei, sei sie an der Vertretung des Zeugen bei der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 52 Abs. 1 StPO nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO gehindert.

III. Literaturstimmen zur Problematik
Das Bild ist nicht einheitlich:
• Bei Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 54. Aufl. wird bei § 52 StPO unter den Rn. 19 und 20 ausgeführt, dass bei ehelich minderjährigen Zeugen, die von bei-den Elternteilen vertreten werden, jeder der gesetzlichen Vertreter einwilligen muss, wobei es genügt, dass einer die Einwilligung erteilt und der andere zu-stimmt. Im weiteren wird dort ausgeführt: Ist aber nur ein Elternteil gesetzlicher Vertreter, so darf er auch entscheiden, wenn der Ehegatte der Beschuldigte ist. Die gegensätzliche Meinung wendet S. 2 entsprechend an.
• Der Beck'sche online Kommentar schreibt in der Rdnr. 24 zu § 52 StPO zu dieser Thematik: Bei gemeinschaftlicher elterlicher Sorge sei in diesem Fall auch der andere – nicht beschuldigte – Elternteil ausgeschlossen. Anders je-doch, wenn nur ein Elternteil gesetzlicher Vertreter sei und sich das Verfahren gegen den Ehegatten richtet (OLG Brandenburg FamRZ 2011, 528; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 52 Rn 20); eine Ergänzungspflegschaft könne ohne teilweisen Entzug der elterlichen Sorge nicht angeordnet werden (OLG Nürnberg NJW 2010, 3041). Der gesetzliche Vertreter sei bei der Entscheidung weiter ausgeschlossen, wenn er zugleich gesetzlicher Vertreter des Beschuldigten sei (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 303).
• Klaus Lüderssen führt im Großkommentar Löwe-Rosenberg zu § 52 ohne weitere Begründung aus, dass der alleinvertretungsberechtigte Elternteil auch dann nicht von der Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht ausgeschlossen ist, wenn sein Ehegatte der Beschuldigte ist.
• Senge vertritt im Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. im Rahmen der Kommentierung der Vorschrift des § 52 Rn.29, dass der Fall des alleinvertre-tungsberechtigten aber nicht beschuldigten Elternteils im Gesetz überhaupt nicht geregelt ist.
• Professor Wilhelm Degener vertritt in den Ausführungen zu § 52 Rn. 24 die Auffassung, bei der er auf die bestehende Interessenkollision abstellt, es habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass der Nichtbeschuldigte, allein vertretungsbefugte Elternteil auch hier an der Entscheidung gehindert sei.
• Rieß, der an der Gestaltung des Gesetzestextes beteiligt gewesen ist, hebt in seinem Aufsatz NJW 1975, 81 hervor, dass der nicht beschuldigte Elternteil nur dann von der Entscheidung ausgeschlossen sei, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zusteht. Zumindest aber hinsichtlich der Beziehung zu Stiefvater/Stiefmutter hält Rieß in diesem Aufsatz eine vorsichtige Analogie für erwägenswert.
• Herbert Schimansky hält es in der Festschrift O.v. Gamm / p. Raisch / K. Tie-demann, Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht Festschrift für Gerd Pfeiffer unter der Überschrift „Der Ausschluss des nicht beschuldigten Elternteils nach § 52 StPO“ auf Seite 297 für zutreffend, dass der alleinvertretungsberechtigte Elternteil nach dem Gesetzeswortlaut über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts auch dann entscheiden kann, wenn sein Ehegatte Beschuldigter sei. Er hält eine Analogie für unzulässig. Schimansky hält in diesem Kontext den alleinvertretungsberechtigten nicht beschuldigten Ehepartner als Ehegatten des Beschuldigten zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes hinsichtlich dessen Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht für ungeeignet. Zusammenfassend soll der nicht beschuldigte Elternteil in allen Fällen ausgeschlossen sein, in denen der Beschuldigte sein Ehegatte sei. Diese Annahme geht aus meiner fehl. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Regelung bleibt kein Raum für diese korrigierende Auslegung, die Schimansky vornehmen möchte.


IV. Rechtsprechung zur Problematik
In der Entscheidung des BGH vom 8. 1. 1987 1 StR 658/86 wurde lediglich der Kon-junktiv angewandt. Das heißt: Der dort entscheidende Senat hat es in diesem Be-schlusss gerade nicht für erheblich angesehen, so dass er die Entscheidung offengelassen hat, ob ein Ergänzungspfleger bestellt hätte werden müssen und ob es dann für das Zeugnisverweigerungsrecht auf die Entscheidung des Ergänzungspflegers ankommt. Wörtlich ist ausgeführt worden: „Die weitere Beanstandung, das Landgericht habe dadurch, dass es auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers hinwirkte, anstatt die Mutter wegen einer Zustimmung zur Vernehmung ihrer Kinder zu hören, seine Aufklärungspflicht verletzt, ist nicht in zulässiger Form erhoben, weil der Beschwerdeführer die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts über die Bestellung des Ergänzungspflegers nicht mitteilt. Das wäre erforderlich gewesen, weil diese Entscheidung, selbst wenn davon auszugehen wäre, daß eine entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO in einem Fall wie dem vorliegenden nicht in Frage käme (Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 52 Rdn. 35; Kleinknecht/ Meyer, StPO 37. Aufl. § 52 Rdn. 20; für eine analoge Anwendung: Pelchen in KK § 52 Rdn. 29; Paulus in KMR 7. Aufl. § 52 Rdn. 25; Rieß NJW 1975, 83 Fußn. 42), nicht notwendig rechtsfehlerhaft wäre;“

Der BGH geht also in dieser Entscheidung soweit, dass selbst dann, wenn davon auszugehen gewesen wäre, dass eine entsprechende Anwendung des §§ 52 StPO in einem Fall wie dem vorliegenden nicht infrage käme die Antwort auf diese Frage nicht gegeben werden muss, da es darauf nicht ankomme.

In verschiedenen Verfahren wurde jeweils die Frage offen gelassen, ob der Ehegatte des Beschuldigten als alleiniger gesetzlicher Vertreter die Zustimmung nach § 52 Abs. 2 StPO erteilen kann oder ob die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich ist.
Nach der hier zu Grunde liegenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe gilt: Die Regelung in § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist nicht analog auf einen solchen Fall anzuwenden.

Umstritten ist bereits, ob die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf den Fall ent-sprechend angewendet werden kann, dass der gesetzliche Vertreter mit dem Be-schuldigten verheiratet ist (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2010, 1996 m.w.N.). Die überwiegende Auffassung geht dabei unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut und das Fehlen einer Regelungslücke davon aus, dass eine entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die vorstehend genannte Fallgestaltung ausscheidet (LG Berlin FamRZ 2004, 905, m.w.N.; OLG Nürnberg, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 52 Rn. 20).

Aus der Sicht des Autors fehlt es an einer Gesetzeslücke, um eine analoge Anwen-dung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO überhaupt möglich zu machen.
Nur dann wäre die Vorschrift des 52 Abs. 2 S. 2 StPO auf Fälle der vorliegenden Art, in denen nämlich der gesetzliche Vertreter nicht Beschuldigter in einem strafrechtli-chen Ermittlungsverfahren ist, sondern Geschädigter der fraglichen Straftat über-haupt denkbar.
Der klare und unzweideutige Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO erlaubt aber nach der Meinung des Verfassers gerade keine erweiternde oder analoge Auslegung, für die ein entsprechender Wille des Gesetzgebers auch nicht erkennbar ist.
Es muss nur der Loyalitätskonflikt, in dem sich der minderjährige Sohn des Opfers befindet, beachtet werden.

Zusammenfassend:
Die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO enthält also gerade keine zu verallgemeinernde Regelung in dem Sinne, dass die Ausübung des Zeugnisverweigerungs-rechts durch den gesetzlichen Vertreter ausscheidet, wenn bei diesem ein Interes-senkonflikt besteht oder zu befürchten ist. Die Vorschrift regelt ausschließlich den speziellen Fall, dass der gesetzliche Vertreter oder (mindestens) einer der beiden gemeinsam zur gesetzlichen Vertretung berechtigten und verpflichteten Elternteile des Zeugen Beschuldigter eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist und damit nicht nur einem, sondern dem denkbar größten Interessenkonflikt unterliegt.



V. Sinn und Zweck der Regelung:
Das Zeugnisverweigerungsrecht soll diejenige Person, der es zukommt vor Loyali-tätskonflikten schützen. Gleichzeitig soll aber diese Norm vor allem auch dazu bei-tragen, dass auf diese Art und Weise die Wahrheit leicht gefunden werden kann.

Derjenige, der zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, soll gerade nicht zwischen den Eltern zerrieben werden und gegebenenfalls dazu gebracht werden, im Interesse des einen Elternteils auszusagen.

Vielmehr soll der Zeuge-wie alle anderen Zeugen auch-unbeeinflusst von Dritten die Tatsachen dem Gericht bzw. der ermittelnden Behörde mitteilen, die er wahrgenommen hat.

Der minderjährige Zeuge, dessen Zeugnisverweigerungsrecht von dem vermeintli-chen Opfer einer Straftat ausgeübt wird, erscheint mit unter nicht völlig unbeeinflusst. In Fällen von Aussage gegen Aussage, in denen lediglich noch ein einziger minderjähriger Zeuge zu vernehmen ist, stellt sich die Frage, ob es allein schon aufgrund der Tatsache, dass der minderjährige Zeuge in den Loyalitätskonflikt hineingezogen wird von der richtigen Ausübung der elterlichen Sorge noch ausgegangen werden kann. Diskutabel erscheint hier, ob die Kindesmutter, die sich als Opfer einer Straftat sieht, unbeeinflusst die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts treffen kann.

Zu berücksichtigen ist insoweit dass die Vielzahl möglicher Interessenkonflikte des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Zeugen in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren auf der Hand liegt und gerade der Fall, dass der gesetzliche Vertreter Opfer der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat ist, in der Rechtswirklichkeit nicht selten auftritt; eine diesbezügliche Regelung hätte sich mithin aufgedrängt, wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte Der engen Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO ist daher im Gegenteil zu entnehmen, dass im Regelfall - auch bei bestehendem Interessenkonflikt - dem gesetzlichen Vertreter die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen anvertraut ist und überlassen bleiben soll. Dies ergibt sich letztlich auch daraus dass eine Entziehung der Vertretungsmacht des sorgeberechtigten Elternteils gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 Abs. 1 und 2 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn ein erheblicher Interessengegensatz vorliegt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der sorge und vertretungsberechtigte Elternteil deshalb nicht mehr im Interesse des Kindes entscheiden kann (vgl. MünchKommBGB/Huber, 6. Aufl., § 1629 Rn 56).

VI. Aus Sicht des Verteidigers und des Vertreters der Nebenklage:

Aus Sicht des Verteidigers erscheint die Herbeiführung einer Lösung über das Familienrecht ebenso wie auch aus Sicht des Nebenklägers der gangbaren Weg.

Insbesondere sollte hierbei bereits im Ermittlungsverfahren abgewogen werden, inwiefern die Angaben des minderjährigen Zeugen beeinflusst sind von der Person, die über sein Zeugnisverweigerungsrecht entscheidet und inwiefern die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit dessen, was er als seine Wahrnehmung schildert für den Ausgang des Verfahrens relevant sind. Gleichzeitig muss im Rahmen des auszuübenden Sorgerechts das Kindeswohl berücksichtigt werden. Der Loyalitätskonflikt, der gerade durch die Möglichkeit, das Zeugnis zu verweigern, vermieden werden kann, muss in einer solchen Fallkonstellation mit hoher Priorität behandelt werden.

Nicht selten besteht die Möglichkeit, dass gerade dann, wenn die Tatsachenangaben eines minderjährigen Zeugen in ein Verfahren mit eingeführt werden die einen für die Angaben des vermeintlichen Opfers sprechenden Sachverhalt bestätigen sollen, dass gerade dann Belastungstendenzen durch das Gericht gesehen werden, die ursprünglich nicht vorhanden gewesen wären.

Auch der (Nebenklage-)Vertreter des vermeintlichen Opfers einer Straftat sollte die Lösung über das Familienrecht suchen: Denn gerade dann, wenn das Familienge-richt rechtskräftig entscheidet, dass es keine widerstreitenden Interessen in dem Umfang sieht, als dass es einen Verfahrenspfleger für erforderlich hält, ist die Tatsache, dass die Angabe des Minderjährigen unbeeinflusst von der sorgeberechtigten Person zu sein scheint, rechtlich geklärt.

Neben dem Interesse des Kindes, eine erneute Konfrontation mit den belastenden Situationen, die es bezeugen soll, zu vermeiden und einem möglichen Interesse des Kindes, seinen biologischen Vater nicht belasten zu müssen kann auch ein erhebliches Interesse des Kindes anzuerkennen sein durch seine Aussage eine Verurteilung des leiblichen Vaters zu ermöglichen und hierdurch weitere Straftaten gegen sich, seine Geschwister und seine Mutter zu verhindern.

Im Rahmen der Hauptverhandlung besteht die Rügeobliegenheit. Sollte die Rüge gegen die Verwertbarkeit der Angaben des minderjährigen Zeugen verspätet erho-ben werden, kann diese im Rahmen der Revision nicht mehr erfolgen. Um sich also die Revisionstür offen zu halten, muss der Widerspruch zeitig abgegeben werden.

VII.
In vielen verschiedenen vorstellbaren Fallkonstellationen kann es zur Möglichkeit der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für einen Angehörigen, Betreuten im Sinne von § 52 Abs. 2 StPO kommen. Gerade dann, wenn das Opfer der verfahrensrelevanten Tat diejenige Person ist, die über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des einzigen minderjährigen Zeugen entscheidet, sollte eingehend geprüft werden, ob eine Lösung über die Vorschriften des Familienrechts sinnvoll erscheint und der vermeintliche Interessenkonflikt auf diese Art und Weise vermieden werden kann. Da der Wortlaut der Vorschrift eindeutig ist, also der gesetzliche Vertreter nur dann nicht über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts entscheiden kann, wenn er selbst Beschuldigter ist, sollte das Kindeswohl die größte Bedeutung erfahren.

 

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