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Recht/Gesetz

Akteneinsicht in Audiodateien

Audidateien als Bestandteil der Ermittlungsakte

Sachverhalt:
Am 25.04.2012 fand gegen vier Angeklagte der erste Hauptverhandlungstag von insgesamt 9 bereits zu diesem Zeitpunkt anberaumten Hauptverhandlungstagen statt. Das Strafverfahren wurde vor der nur mit zwei Berufsrichtern besetzten Kammer des Landgericht Offenburg wegen des Vorwurfs insbesondere der Beteiligung am bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geführt.
Durch einen der 4 Verteidiger wurde in dieser Sitzung beantragt, die Hauptverhandlung bis zum 09.05.2012 zu unterbrechen, damit zur sachgemäßen Verteidigung insbesondere Einsicht in die kompletten Unterlagen aus der Telefonüberwachung und sämtliche Aufzeichnungen aus dem überwachten Pkw genommen werden kann.
Auf diesen Antrag hin wurde die Hauptverhandlung bis zum 09.05.2012 unterbrochen. Am 25.04.2012 beauftragte der Vorsitzende die bereits in die Ermittlungen einbezogenen Kriminalbeamten mit der Abklärung, ob die Audiodateien, die im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung gefertigt worden sind, den Verteidigern in Form von Audiodateien zur Verfügung gestellt werden könnten.
Die Polizei sicherte dem Landgericht Offenburg zu, die TKÜ-Maßnahmen bezüglich sämtlicher bereits gefertigter Protokolle „in den kommenden Tagen als Daten-CD ebenso zur Verfügung zu stellen wie die Audiodateien bezüglich der Pkw-Innenraumüberwachung des Angeklagten.“
Den Verteidigern sind darauf hin CD-ROM Kopien der von der Kriminalpolizei bereitgestellten Datenträger der Pkw-Innenraumüberwachung des Fahrzeugs übersandt worden.
Sämtlichen Verteidigern wurde die Möglichkeit gegeben, auch im Beisein der jeweiligen in vier verschiedenen JVA in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten sowie einem Dolmetscher der russischen Sprache, den gesamten Audiodatenbestand werktags zwischen 8.30 und 17.00 Uhr in den Diensträumen der Kriminalpolizei zu hören.
Das Gericht hat ferner in einer Fallakte diejenigen Audiodateien aufgelistet, die die Kriminalpolizei als konkret verfahrensrelevant bezeichnet hat, den Verteidigern zur Verfügung gestellt. Die Kriminalpolizei hat das Landgericht Offenburg mit Schreiben vom 03.05.2012 darauf hingewiesen, dass ein Brennen sämtlicher im vorliegenden Verfahren entstandener Audio-Dateien (pro Verteidiger etwa. 120 DVDs) voraussichtlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen würde. Am selben Tag beantragte einer der Verteidiger
ihm die gesamten Audiodateien der TKÜ zukommen zu lassen. Diesen Antrag wies der Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom 07.05.2012 zurück. Der Verteidiger dieses Angeklagten erhob mit Schriftsatz vom 08.05.2012 eine „Rüge“ gegen die zurückweisende Verfügung, die im Fortsetzungstermin am 09.05.2012 verlesen worden ist. Alle Verteidiger und Angeklagten erklärten dann, dass vor der Gewährung von Einsicht in die Audiodateien keine Angaben zur Person und zur Sache gemacht werden. Die Strafkammer setzte das Verfahren nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten mit Beschluss vom 09.05.2012 aus.
Am gleichen Tag erhielt die Strafkammer die Mitteilung der Polizei, dass die Audio-Dateien des gesamten Ermittlungskomplexes in ca. 120 DVDs je Verteidiger passwortgeschützt und mit einer Zeitbegrenzung zur Verfügung gestellt werden könnten. Mit Verfügung vom 10.05.2012 wurde die Sache durch den Vorsitzenden umgehend erneut auf den 11.06.2012 mit sieben Fortsetzungsterminen terminiert.
Die Staatsanwaltschaft widersprach der Herausgabe sämtlicher Audiodateien des Ermittlungskomplexes auf Datenträgern mit Stellungnahme vom 11.05.2011 insbesondere im Hinblick auf den Grundrechtsschutz von den Überwachungsmaßnahmen betroffener Dritter.
Einer Aushändigung der kopierten Audiodateien der von den Ermittlungsbehörden bislang als konkret verfahrensrelevant eingestuften Aufzeichnungen trat die Staatsanwaltschaft aber nicht entgegen.
Daraufhin ordnete der Vorsitzende mit Verfügung vom 14.05.2012 die Herstellung von kopier- und passwortgeschützten Audiodateiensammlungen des gesamten Ermittlungskomplexes mit einer zeitlichen Begrenzung und deren Überlassung an die Verteidiger an, soweit diese versichert hätten, diese nicht zu kopieren bzw. Dritten nicht zum Kopieren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens der Strafkammer wieder zur Verfügung zu stellen.
Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Offenburg am 15.05.2012 Beschwerde ein. Der Verteidiger des Angeklagten ist dem Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 22.05.2012 entgegengetreten.

Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 29.05.2012, 2 WS 146/12
Der Senat hielt diese Beschwerde für zulässig. Er berief sich unter anderem auf die eigene Senatsentscheidung vom 05.04.2007 - 1 Ws 42 u. 43/07 und die des OLG Frankfurt StV 2001, 611und half der Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab.
Das OLG Karlsruhe führt in dieser Entscheidung aus, dass Beweismittel - zu diesen zählen die Aufzeichnungen über die abgehörten Telefongespräche - grundsätzlich im Gegensatz zu Akten (§ 147 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1) nicht zur Einsichtnahme an den Verteidiger mitgegeben werden, sondern nach § 147 Abs. 1 2. Alt. nur am Ort Ihrer amtlichen Verwahrung eingesehen bzw. im Fall von Aufzeichnungen im Rahmen einer Telefon Überwachungsmaßnahme abgehört werden. Ein Anspruch auf Überlassung von Beweismitteln bzw. auf Anfertigung von Kopien der Beweismittel steht dem Verteidiger grundsätzlich nicht zu (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Koblenz NStZ 1995, 611 f.; Wessing in Beck'scher Online-Kommentar StPO, Stand 01.02.2012 § 147 Rdnr. 18).
Der Streit bezieht sich nur und allein auf die Ausgestaltung des den Verteidigern gemäß § 147 Abs.; 1 2. Alt. StPO zustehende Besichtigungsrecht hinsichtlich sämtlicher der im vorliegenden Ermittlungskomplex gefertigten Audiodateien.
Dabei übersieht der Senat nicht, dass im Einzelfall aus Gründen des fairen Verfahrens bzw. angemessener Verteidigung oder unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung die Fertigung und Überlassung von Kopien sachgerecht und geboten ist (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Frankfurt a. a. O.; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 147 Rdnr. 117). Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen hierfür im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung jedoch nicht vor:
Bei der Telekommunikationsüberwachung werden sämtliche Gespräche ohne Differenzierung nach den Gesprächspartnern oder den Inhalten der Gespräche aufgezeichnet und anschließend ausgewertet. Damit werden in aller Regel - und so auch hier - von der Telefonüberwachung such Gespräche mit oder zwischen Personen erfasst, die offensichtlich in keiner Weise mit der aufzuklärenden Tat in Verbindung stehen. Des Weiteren besteht auch die Möglichkeit der Aufzeichnung von Gesprächen, die dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Da bei der Telekommunikationsüberwachung keine mit vertretbarem Aufwand realisierbare Möglichkeit besteht, den erforderlichen Grundrechtsschutz für von der Maßnahme betroffene Dritte schon im Rahmen der Aufzeichnungen der Gespräche zu wahren, und da der Grundrechtseingriff nicht nur in der Aufzeichnung und dem anschließenden Abhören der Gespräche besteht, sondern sich durch die Speicherung, Verwendung und Weitergabe der gewonnenen Informationen fortsetzt und vertieft (BVerfG NJW 2004, 999, 1005), muss im Verlauf des weiteren Verfahrens darauf geachtet werden, dass der bestehende Grundrechtseingriff nicht weiter als erforderlich vertieft wird (OLG Karlsruhe a. a. O.).
Bei der Frage der Ausgestaltung des Besichtigungsrechtes gemäß § 147 Abs. 1 2. Alt StPO ist vorliegend demgemäß trotz der von der Strafkammer vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen in gewichtiger Form zu berücksichtigen, dass durch die Fertigung und Aushändigung von Kopien der vollständigen Telekommunikationsaufzeichnungen des Ermittlungskomplexes - hier ca. 120 DVDs - an den jeweiligen Verteidiger nicht nur der Eingriff in Persönlichkeits- und Datenschutzinteressen unbeteiligter Dritter vertieft, sondern auch die Einhaltung der die Sicherung der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs dienenden Vorschriften insbesondere hinsichtlich der Löschung der aufgezeichneten Gespräche (vgl. § 101 Abs. 8 StPO) erschwert wird (OLG Karlsruhe a. a. O.). Andererseits besteht für sämtliche Verteidiger vorliegend bereits seit einigen Wochen die Möglichkeit, sämtliche im vorliegenden Ermittlungskomplex aufgezeichneten Telefongespräche werktags zwischen 8.30 und 17.00 Uhr bei der Kriminalpolizei anzuhören. Zudem haben die Verteidiger nicht nur einen Anspruch, die Gespräche dort in Gegenwart eines Dolmetschers abzuhören, sondern auch ein Recht auf Anwesenheit des jeweils von ihnen verteidigten Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 147 Rdnr. 19). Der Senat geht ferner davon aus, dass den Verteidigern - anderenfalls wäre dies nunmehr organisatorisch sicherzustellen - auch die Möglichkeit eröffnet wird, die Audiodateien allein in einem separaten Raum in Gegenwart eines Dolmetschers und des von ihnen verteidigten Angeklagten abzuhören, um dabei insbesondere direkt im Zusammenhang mit dem Abspielen von Dateien Fragen der Verteidigungsstrategie erörtern zu können. Dass ein derartig gewährleistetes Besichtigungsrecht der Verteidiger zu Informationszwecken nicht ausreichend ist und die Verteidigungsinteressen nur durch die Überlassung amtlicher Kopien gewahrt wären, vermag der Senat im Ergebnis nicht zu erkennen. Der zusätzliche Zeitaufwand, der dadurch entsteht, dass die Verteidiger für eine Inaugenscheinnahme der Audiodateien nach Offenburg fahren müssten, stellt sich nicht als unzumutbar dar und ist angesichts der Bedeutung der Sache insbesondere auch nicht unverhältnismäßig.Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war die angefochtene Anordnung des Vorsitzenden der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Offenburg vom 14.05.2012 demgemäß aufzuheben.
Abschließend weist der Senat ferner auf Folgendes hin:
Sollte die Polizei vorliegend hinsichtlich weiterer Telefonate aus dem gesamten Ermittlungskomplex - etwa in Form von Computerdateien - Kurzübersetzungen und inhaltliche Zusammenfassungen erstellt haben, die dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten bisher nicht vorliegen, wären diese, da es sich dabei nicht um interne Hilfs- und Arbeitsmittel, sondern um Auswertungen gewonnenen Beweismaterials und damit Aktenbestandteile handelt, sämtlichen Verfahrensbeteiligten unverzüglich zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH StraFo 2009, 338, 340; Wessing a. a. O. § 147 Rdnr. 15).
Persönliche Anmerkung:
Aus Sicht des Verteidigers ist die Einsichtnahme in die Audiodateien von allergrößer Wichtigkeit: Zum Einen sollte der Verteidiger bereits vor der Einlassung des Mandanten zu den persönlichen Verhältnissen, in jedem Fall aber vor der möglichen ersten Verständigung mit dem Gericht die Aussagen des Mandanten und der anderen Beteiligten zumindest einmal angehört haben, da nur mit Hilfe der Kenntnis dieser Beweismittel sachgerecht die Verteidigung durchgeführt werden kann. Dabei reicht aus Sicht des Unterzeichners nicht die in die Deutsche Sprache übersetzte von der Polizei „ins Reine“ geschriebene Darstellung der Telekommunikation. Die Stimmen der beteiligten Telefonierenden und die entsprechenden fremdländischen Ausdrücke sind von erheblicher Bedeutung, da unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten gegeben sind.
Darüber hinaus kann anhand der Audiodateien genau überprüft werden, wann welcher Anschluss überwacht worden ist und zu welchem Zeitpunkt die entsprechend erforderliche Genehmigung vorgelegen hat.
Zum Anderen sollte der Verteidiger auch zu seinem eigenen Schutz die Audiodateien vorher gehört haben: Zur Vermeidung etwaiger Strafvereitelungsdelikte scheint es angebracht zu sein, dass der Verteidiger über den gesamten Komplex der Telekommunikationsdaten und deren Inhalt bestens informiert ist.
Aus technischer Sicht gibt es nicht nur die Möglichkeit, die Audiodateien auf CD-ROM zu brennen. Es könnten die Dateien auf eine mobile Festplatte übertragen werden oder in eine Cloud hochgeladen werden, zu der man nur mit Hilfe von Passwörtern Zugang hat. Auf diese Art und Weise kann dann der jeweilige Verfahrensbeteiligte für sich bestimmen, welche Audiodateien tatsächlich verfahrensrelevant sind.
Da die Entscheidung des OLG über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht mehr mit einem Rechtmittel angegriffen werden kann, verbleibt hier nur die Einstweilige Anordnung zu Bundesverfassungsgericht. Hier muss der besonders schwere Nachteil möglichst ausführlich und substantiiert dargelegt werden, der dem Angeklagten entsteht, wenn einerseits das Gericht ohne die Audiodateien dem Verteidiger vollumfänglich zur Verfügung gestellt zu haben, über die Strafbarkeit der Handlung des Angeklagten entscheidet und andererseits welche besonders schweren Nachteile dem Angeklagten dadurch entstehen, dass er mit seinem Verteidiger in einem Raum der Kriminalpolizei die gesamten Audiodateien anhören muss.
Da meist die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung das einzig wirkliche Beweismittel in Umfangsverfahren im BTM Bereich darstellen, sollte man als Verteidiger in diesem Bereich besonders aktiv verteidigen.

Manfred Zipper
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht

 

Anspruch Hilfe Polizei Verfahren

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