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Paukenschlag im Bauwesen: Kündigungsregelung §4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B laut BGH unwirksam!

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Der BGH erklärt die Kündigungsregelung bei Mängeln vor der Abnahme als unwirksam, wenn die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist. Das Urteil wirkt sich wesentlich auf Bauvertragsgestaltungen aus.

VOB/B-Bauverträge werden nicht nur von öffentlichen Auftraggebern angewandt. Sie finden in der gesamten Bauwirtschaft Anwendung, weil sie wesentliche Klauseln für die Baudurchführung enthalten, die Baubeteiligte in ihrer Gesamtheit als vorzugswürdig ansehen. Die gesetzlich verankerte AGB-rechtliche Inhaltskontrolle wird bei der VOB immer dann außer Kraft gesetzt, wenn sie nicht als Ganzes - also ohne wesentliche und unwesentliche Abweichungen - vereinbart wird.

-> BGH-Urteil vom 19.01.2023 - VII ZR 34/20

Am 01.03.2023 hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil vom 19.01.2023 - VII ZR 34/20 veröffentlicht, wonach die Kündigungsregelung wegen Mängeln vor Abnahme nicht wirksam ist, wenn einzelne Vorschriften modifiziert werden. Da die VOB/B eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt, unterliegen alle Abweichungen den Bestimmungen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, die stets zu Lasten des Verwenders durchzuführen ist. Dies gilt auch dann, wenn das Vertragswerk durch andere vorrangige Regelungen als "ausgewogen" betrachtet werden kann.

-> Der amtliche Leitsatz des Urteils lautet:

"Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand. Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam."

Dieses Urteil ist auf alle aktuellen VOB-Verträge anzuwenden. Es hat fundamentale Konsequenzen für alle an Bauprojekten Beteiligte. Denn bisher war es möglich, dass der Auftraggeber bei Leistungen, die er schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt hat, den Auftragnehmer zur Mangelbeseitigung innerhalb einer angemessenen Frist aufgefordert und ihm mitgeteilt hat, dass er im Falle des fruchtlosen Fristablaufes den Vertrag kündigen werde.

-> Mängelrecht benachteiligt Auftragnehmer

Nun stellt der Bundesgerichtshof klar, dass diese Klausel, selbst bei geringfügigen Abweichungen der VOB/B, unwirksam ist. Nach Ansicht des BGH benachteiligt das Mängelrecht des § 4 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. mit dem Kündigungsrecht des § 8 Abs. 3 den Auftragnehmer unangemessen.

Die vob-rechtliche Kündigungsregelung vor Abnahme weicht ab von dem gesetzlichen Leitbild und den wesentlichen Grundgedanken des Klauselverständnisses. Dies deshalb, weil der Auftraggeber die Kündigung während der Ausführungsphase, losgelöst von diesen Kriterien bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs, selbst bei der Geringfügigkeit der Vertragswidrigkeiten oder Mängel Gebrauch machen könnte.

Die Sanktionen der Kündigung konnten nach den bisherigen Regelungen uneingeschränkt bei jedweder Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit der Leistung angewandt werden, unabhängig von der Feststellung, ob es sich um einen wesentlichen oder unwesentlichen Mangel handelte.

Das in § 4 Abs. 7 VOB festgelegte Recht differenziert auch nicht nach den Ursachen, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels. Eine vertragswidrige oder mangelhafte Leistung in der Ausführung kann im Hinblick auf die Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann als wichtiger Grund gewertet werden, wenn weitere Umstände hinzukommen, wonach die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, nicht mehr zugemutet werden kann.

-> Kündigung nur aus wichtigem Grund

Eine Kündigung aus wichtigem Grund bleibt dem Auftraggeber vorbehalten. Kündigungsvoraussetzung aus wichtigem Grund ist, wenn weitere Umstände dazukommen, die die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen. Das Vorliegen einer mangelhaften oder vertragswidrigen Leistung reicht allein nicht aus.

Vielmehr muss der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber erheblich erschüttert haben. In der Konsequenz muss ein Zustand erreicht werden, in dem unter Berücksichtigung aller Umstände die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Parteien nicht mehr zugemutet werden kann.

In der Gesamtabwägung ist zu berücksichtigen, ob aus der Ursache, der Art, dem Umfang, der Schwere oder den Auswirkungen der Vertragswidrigkeit oder des Mangels ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers abgeleitet werden kann, wonach die Fertigstellung durch den Auftragnehmer nicht mehr abgewartet werden muss.

Diese Sachverhalte in ihrer Relevanz bei der Beurteilung des Einzelfalls festzustellen, wird in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten der Bauvertragsparteien und bei Planern führen. Eine außergerichtliche Einigung erscheint in jedem Falle vorzugswürdig.
Das ist jetzt wichtig:

1. Prüfen Sie alle bestehenden vob-rechtlich relevanten Vertragsdokumente, um festzustellen, ob die Klauseln einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle Stand halten. Erkennen Sie rechtzeitig Ihre Chancen und Risiken im Bauvertrag.

2. Stellen Sie sicher, dass Ihre Vertragsdokumente eindeutige Leistungsbeschreibungen und Definitionen von Mängeln enthalten.

3. Reagieren Sie rechtzeitig auf die Änderungen der "gesetzlichen" Regelungen, die durch die aktuelle Rechtsprechung zur Anwendung kommen. Bleiben Sie informiert.

4. Passen Sie Ihr Verhalten den geltenden Regelungen infolge aktueller Rechtsprechung zur VOB/B bei Mängeln vor der Abnahme, ebenso wie bei Nachträgen nach VOB/B §§ 2 Abs. 3 und 5 sowie bei Behinderungssachverhalten im Sinne des § 6 VOB/B an.

5. Wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen unsere VOB/B-Seminare. Unsere Referenten kennen die Rechtslage bei Vertragsverhandlungen im Bauwesen. Bei der BVM lernen Sie alles über Vorschriften und Grundlagen des Baurechts.

6. Vermeiden Sie Streitigkeiten über Baumängel bei Gericht. Eine außergerichtliche Einigung erscheint vorzugswürdig, um langwierige, zeitintensive und teure Gerichtsverfahren und Sachverständigenkosten zu vermeiden.

Informieren Sie sich über die Möglichkeiten der Außergerichtlichen Streitbeilegung in Bau- und Planer-Angelegenheiten und vereinbaren Sie Klauseln zur Mediation oder Schlichtung. Hierzu vermittelt die BVM bauvertragsrechtliche, baubetriebliche und mediative Verhandlungskompetenzen in VOB/B Seminaren in München und online.

 

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